Samstag, 6. Juni 2009

Theologie der Hoffnung


Heute habe ich mich mit "Politischer Theologie" befasst.  Politische Theologie ist eine Denkrichtung, die in den 60er Jahren entstanden ist. Sie verweist auf den engen Zusammenhang von Dogmatik und Ethik und will weg von der der Orthodoxie hin zur "Orthopraxie" (Moltmann). Es geht ihr um die Relevanz der Theologie für die Gesellschaft. Glaube wird als eine verändernde Kraft und Macht gesehen.  Einer der bekanntesten Verfechter einer Politischen Theologie ist Jürgen Moltmann. Besonders eindrücklich finde ich Jürgen Moltmanns "Theologie der Hoffnung". Was er sagt, ist auch heute noch brandaktuell und kann wichtige Impulse für eine Kirche außerhalb der Kirchenmauern geben. Moltmann beginnt seine "Theologie der Hoffnung" (1964) mit diesen Worten:

Man nannte lange Zeit die Eschatologie die "Lehre von den letzten Dingen" oder die "Lehre von dem Letzten". [...] In Wahrheit aber heißt Eschatologie die Lehre von der christlichen Hoffnung, die sowohl das Erhoffte wie das von ihm bewegte Hoffen umfasst. Das Christentum ist ganz und gar und nicht nur im Anhang Eschatologie, ist Hoffnung, Aussicht und Ausrichtung nach vorne, darum auch Aufbruch und Wandlung der Gegenwart. (S. 11) 
Er bezeichnet Resignation und Hoffnungslosigkeit als Sünde der Verzweiflung: 
Gott hat den Menschen erhöht und ihm Aussicht ins Freie und Weite geschenkt, aber der Mensch bleibt zurück und versagt sich. Gott verheißt eine Neuschöpfung aller Dinge in Gerechtigkeit und Frieden, aber der Mensch tut so, als wäre und bliebe alles beim Alten. Gott würdigt ihn seiner Verheißungen, aber der Mensch traut sich das nicht zu, was ihm zugemutet wird. Das ist die Sünde, die den Glaubenden zutiefst bedroht. Nicht das Böse, das er tut, sondern das Gute, das er unterlässt, nicht seine Untaten, sondern seine Versäumnisse klagen ihn an. Sie klagen ihn des Mangels an Hoffnung an. Denn diese sogenannten Unterlassungssünden gründen allemal in Hoffnungslosigkeit und Kleinglauben. "Nicht so sehr die Sünde stürzt uns ins Unheil als vielmehr die Verzweiflung", sagte Johannes Chrysostomos. Darum zählte das Mittelalter die acedia oder tristitia unter die Sünden wider den heiligen Geist, die zum Tode führen. (S.18)
An anderer Stelle (S.17) wird die Protesthaltung dieser "protestantischen" Theologie deutlich: 

Darum macht der Glaube, wo immer er sich zur Hoffnung entfaltet, nicht ruhig, sondern unruhig, nicht geduldig, sondern ungeduldigt. Er besänftigt nicht das cor inquietum, sondern ist selber dieses cor inquietum im Menschen. Wer auf Christus hofft, kann sich nicht mehr abfinden mit der gegebenen Wirklichkeit, sondern beginnt an ihr zu leiden, ihr zu widersprechen. Frieden mit Gott bedeutet Unfrieden mit der Welt, denn der Stachel der verheißenen Zukunft wühlt unerbittlich im Fleisch jeder unerfüllten Gegenwart... Diese Hoffnung macht die christliche Gemeinde zu einer beständigen Unruhe in menschlichen Gesellschaften, die sich zur "bleibenden Stadt" stabilisieren wollen. Sie macht die Gemeinde zum Quellort immer neuer Impulse für die Verwirklichung von Recht, Freiehit und Humanität hier im Lichte der angesagten Zukunft, die kommen soll. Diese Gemeinde ist verpflichtet zur "Verantwortung der Hoffnung", die in ihr ist  (1.Petr 3,15).
Jetzt die große Frage: Was heißt das für uns heute? Any ideas?

2 Kommentare:

Daniel hat gesagt…

Hmm...wenn ich das richtig verstehe, betont Moltmann die zweite Form der Sünde, die Barth in seiner "Kirchlichen Dogmatik" beschreibt – Sünde als Trägheit, als Hinter-seinen-von-Gott-geschenkten-Möglichkeiten-Zurückbleiben. Zu seiner Zeit – nach einer Art Erstarrung der ehemals dynamischen Dialektischen Theologie – war diese Schwerpunktsetzung sicherlich nötig. Und trotzdem glaube ich, dass die Kunst eben in einem Gleichgewicht besteht: Sünde als Trägheit UND als Hochmut gegenüber Gott. Christliche Hoffnung als diesseits- UND jenseitsorientiert. Und so weiter. In der Praxis gibt es doch immer wieder gute Beispiele, wie dieses Miteinander aussehen kann, oder nicht?!

http://oliverbloggt.blogspot.com hat gesagt…

Hi Daniel! Danke für den Kommentar! Herr Moltmann würde dir da überhaupt nicht widersprechen. Auch Moltmann redet von Hochmut als Sünde. "Aber es ist nur die eine Seite der Sünde", schreibt er (S.18). Insofern, ja, er betont die Sünde der Trägheit. Und auch in dem Punkt, dass Hoffnung "diesseits- UND jenseitsorientiert" sei, würde er Dir zustimmen. Er betonte halt das eine, weil über das andere nicht (ausreichend) geredet wurde.

Nach meiner inspirierenden Lektüre, finde ich Deinen Satz "In der Praxis gibt es doch immer wieder gute Beispiele" leider sehr ernüchternd. Ich fürchte Du hast damit Recht. Die Umsetzung einer Theologie der Hoffnung vollzieht sich wohl im Kleinen.

Wenn ich die Texte der 60er Jahre lese, kriege ich aber den Eindruck, dass es Moltmann u.a. aber um viel mehr ging als um das ein oder andere diakonische Projekt. Es ging ihnen um eine Revolution - eine Revolution der Hoffnung, die die Welt radikal verändern soll.

Heute hat Herr Moltmann in der Jakobusgemeinde über Joh 17 gepredigt und meinte, die Jakobusgemeinde mit ihren vielen Hauskreisen sei auf dem richtigen Weg, weil dort einer dem anderen hilft und niemand arm,, sondern jeder reich in Beziehungen sei. Vielleicht sieht er die Revolution der Hoffnung heute auch eher in einem "stillen sanften Säuseln" (1Kön19) als in einem heftigen Sturm.