Mittwoch, 24. Juni 2009

Gott als Hebamme

Manche Bilder der Klagepsalmen sind besonders eindrücklich. In Psalm 22 wird Gott als Hebamme beschrieben. Der Beter klagt zunächst über seine gefühlte Gottverlassenheit. Er scheint hin- und hergerissen, seine Gedanken schweifen von seinem Unglück immer wieder hin zu Gott, den er als vertrauenswürdig erfahren hat. "Vertrauen" und "Mutterleib" klingen im Hebräischen sehr ähnlich.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Fern von meiner Rettung sind die Worte meines Gestöhns. 3 Mein Gott, ich rufe bei Tage, und du antwortest nicht; und bei Nacht, und mir wird keine Ruhe.
4 Doch du bist heilig, der du wohnst unter den Lobgesängen Israels.5 Auf dich vertrauten unsere Väter; sie vertrauten, und du rettetest sie. 6 Zu dir schrien sie um Hilfe und wurden gerettet; sie vertrauten auf dich und wurden nicht zuschanden.7 Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und verachtet vom Volk. 8 Alle, die mich sehen, spotten über mich; sie verziehen die Lippen, schütteln den Kopf: 9 "Er hat es auf den HERRN gewälzt, der rette ihn, befreie ihn, denn er hat ja Gefallen an ihm!" 10 Ja, du bist es, der mich aus dem Mutterleib gezogen hat, der mir Vertrauen einflößte an meiner Mutter Brüsten. 11 Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoß her, von meiner Mutter Leib an bist du mein Gott.
(Rev. Elberfelder Übersetzung)

Donnerstag, 18. Juni 2009

Milchschaum, Eschatologie und Ethik

Neulich hörte ich von einem Redakteur, der "unsere" Generation als eine Generation bezeichnet, die glücklich und zufrieden ist und auf Protest und Engagement gerne verzichtet, solange sie nur ihren Espresso mit Milchschaum schlürfen kann. Unabhängig davon ob diese Aussage zutrifft, gibt sie mir Anlass, erneut über "politische Theologie" nachzudenken. Man sagt ihr nach, sie habe die Eschatologie für die Ethik entdeckt.

Der Gedanke ist folgender: Nehmen wir z.B. den Vers: "Er wird abwischen alle Tränen und der Tod wird nicht mehr sein...". Eine wundervolle Verheißung, die in mir die Sehnsucht nach Gottes neuer Welt weckt.
Vertreter einer politischen Theologie würden das genauso sehen, aber nun sagen, dass eben gerade diese Verheißung Folgen für unser Handeln als Christen haben sollte. Konkret: Wenn wir auf eine Welt hoffen, in der es keine Tränen mehr gibt, sollten wir dann nicht schon jetzt gegen alles kämpfen, das uns und andere traurig macht!?

Spannend finde ich, dass hier christliches Handeln mal nicht im Rahmen der Rechtfertigungslehre bedacht wird (mit all den Assoziationen die damit verbunden sind: Werkgerechtigkeit, billige Gnade, tertius usus legis, etc.). Stattdessen steht hier die Eschatologie im Vordergrund.

Montag, 15. Juni 2009

Schlicht und ergreifend II

Καταβάντος δὲ αὐτοῦ ἀπὸ τοῦ ὄρους ἠκολούθησαν αὐτῷ ὄχλοι πολλοί. καὶ ἰδοὺ λεπρὸς προσελθὼν προσεκύνει αὐτῷ λέγων·
κύριε, ἐὰν θέλῃς δύνασαί με καθαρίσαι.

καὶ ἐκτείνας τὴν χεῖρα ἥψατο αὐτοῦ λέγων·

θέλω,
καθαρίσθητι

(aus Mt 8)

Donnerstag, 11. Juni 2009

Kirche, Kaffee und Corporate Identity

Schon das Logo in weiter Ferne weckt Glücksgefühle. Der Duft von frisch gemahlenen Kaffeebohnen kommt einem entgegen sobald man die Tür öffnet. Im Hintergrund läuft Jazzmusik. -- Ein Besuch bei Starbucks.  
Im Starbucks selbst ist es voll. In bequemen Sesseln sitzen Leute, die sich angeregt unterhalten. An der Kasse stehen 20 Personen, die ebenso sehnsüchtig wie geduldig darauf warten ihre Kaffeebestellung aufgeben zu dürfen.  

Es ist schon verrückt. Da warten Leute auf ihren 4,40 Euro teuren Kaffee, der ihnen nicht einmal an den Platz gebracht wird... Und trotzdem lieben sie Starbucks. Das Mission (!) Statement von Starbucks lautet: "Wir möchten Menschen Tasse für Tasse und in jeder Umgebung inspirieren und fördern." Mission accomplished, denkt der leidenschaftliche Kaffeetrinker.

Warum gelingt es einer Kaffee-Kette ihren Kaffee so brilliant zu vermarkten? Und: Wenn Kaffee derart anziehend wirkt, wie attraktiv müssten dann unsere Kirchengemeinden sein, wenn wir doch viel Besseres zu bieten haben?    

Wäre es nicht toll, wenn jemand in weiter Ferne einen Kirchturm sähe und das gleiche empfinden würde wie der Tourist, der in einer fremden Stadt überraschend ein Starbucks entdeckt?
Statt zu sagen "Hier habe ich den besten Kaffee meines Lebens getrunken" könnte der Gottesdienstbesucher denken: "Hier bin ich Gott begegnet." Wäre das nicht viel schöner?

Ich glaube, es ist wesentlich leichter Kaffee zu verkaufen als dafür zu sorgen, dass das Evangelium auch ankommt. Trotzdem sollten wir nicht aufhören zu fragen, wie wir Kirche attraktiver gestalten können.  

Mt 5, 13 „Ihr seid so wichtig, wie Salz wichtig ist für diese Welt. Ohne euch würde nichts mehr richtig schmecken und ohne euch würde auch alles Gute uncool sein. Das ist so: ihr seid wie ein Kühlschrank für diese Welt, denn ohne euch würde alles vergammeln. Aber wenn Salz lasch geworden ist und nicht mehr salzt, und ein Kühlschrank kaputt ist und nicht mehr kühlt, gehört beides auf den Müll, damit es dort restlos entsorgt wird. 14 Auch sehe ich euch wie ein helles Licht in dieser Welt. Wenn eine Stadt oben auf einem Berg liegt, kann man ihre Beleuchtung nachts ja auch noch kilometerweit sehen. 15 Wenn du dir eine Lampe für dein Zimmer besorgst und sie nachts anmachst, dann stellst du sie doch auch nicht unters Bett. Ganz im Gegenteil, du stellst sie dahin, wo man sie auch sehen kann und sie alles beleuchtet! 16 Genauso soll auch euer Licht für alle Menschen sichtbar sein. So wie ihr lebt und an eurer Einstellung, daran sollen sie euren Vater im Himmel erkennen und von ihm begeistert sein.“ Matthäus 5, 13-16 nach der Volxbibel

Mittwoch, 10. Juni 2009

Veränderungen (?)

In den letzten 30 Jahren hat es in den amerikanischen Gemeinden zahlreiche Veränderungen gegeben:

Aus der "sermon" wurde eine "message". Die "liturgy" wurde durch ein "program" ersetzt, so dass ein "programming team" her musste. 
Die Kanzel wurde durch einen kostengünstigeren Notenständer ersetzt, sodass sich der Prediger dynamisch durch den Raum bewegen oder sich lässig auf einen Barhocker setzen konnte. 
Aus der Kirchenbank wurde ein bequemer KinosesselDie Orgel und das Klavier wurden durch ein "worship team" abgelöst. Und der "projector", nur in Deutschland nennt man ihn übrigens "Beamer", hat das Gesangbuch schon lange abgelöst. Erzählt man einem Amerikaner von Predigtkasetten, findet er das höchst-kurios, wenn nicht lächerlich, denn schon lange haben MP3s die Predigt-Kasetten ersetzt. 

Viele Veränderungen also. Aber sind das überhaupt Veränderungen?

Die meisten FEGs folgen dem Paradigma eines amerikanischen, zeitgenössischen Gottesdienstes ("contemporary service"). Auch landeskirchliche Gemeinden bieten sog. Zweitgottesdienste an oder versuchen moderne Elemente zu integrieren ("blended worship").

Früher dachte ich, dass gerade in der Modernität die Lösung für eine Erneuerung des Gottesdienstes steckt. Heute denke ich: Nicht die Form bringt die Veränderung, sondern der Zugang. Erst wenn die Menschen einen persönlichen Zugang zur Predigt bekommen, kann sie einen Menschen ansprechen und verändern. 
Da nur ein Bruchteil der Menschen einen Zugang zu unseren Gottesdiensten hat, brauchen wir Gottesdienst-re-formen. Welche Form (ob modern, traditionell oder irgendwo dazwischen), ist dabei aber nicht entscheidend. 

Samstag, 6. Juni 2009

Theologie der Hoffnung


Heute habe ich mich mit "Politischer Theologie" befasst.  Politische Theologie ist eine Denkrichtung, die in den 60er Jahren entstanden ist. Sie verweist auf den engen Zusammenhang von Dogmatik und Ethik und will weg von der der Orthodoxie hin zur "Orthopraxie" (Moltmann). Es geht ihr um die Relevanz der Theologie für die Gesellschaft. Glaube wird als eine verändernde Kraft und Macht gesehen.  Einer der bekanntesten Verfechter einer Politischen Theologie ist Jürgen Moltmann. Besonders eindrücklich finde ich Jürgen Moltmanns "Theologie der Hoffnung". Was er sagt, ist auch heute noch brandaktuell und kann wichtige Impulse für eine Kirche außerhalb der Kirchenmauern geben. Moltmann beginnt seine "Theologie der Hoffnung" (1964) mit diesen Worten:

Man nannte lange Zeit die Eschatologie die "Lehre von den letzten Dingen" oder die "Lehre von dem Letzten". [...] In Wahrheit aber heißt Eschatologie die Lehre von der christlichen Hoffnung, die sowohl das Erhoffte wie das von ihm bewegte Hoffen umfasst. Das Christentum ist ganz und gar und nicht nur im Anhang Eschatologie, ist Hoffnung, Aussicht und Ausrichtung nach vorne, darum auch Aufbruch und Wandlung der Gegenwart. (S. 11) 
Er bezeichnet Resignation und Hoffnungslosigkeit als Sünde der Verzweiflung: 
Gott hat den Menschen erhöht und ihm Aussicht ins Freie und Weite geschenkt, aber der Mensch bleibt zurück und versagt sich. Gott verheißt eine Neuschöpfung aller Dinge in Gerechtigkeit und Frieden, aber der Mensch tut so, als wäre und bliebe alles beim Alten. Gott würdigt ihn seiner Verheißungen, aber der Mensch traut sich das nicht zu, was ihm zugemutet wird. Das ist die Sünde, die den Glaubenden zutiefst bedroht. Nicht das Böse, das er tut, sondern das Gute, das er unterlässt, nicht seine Untaten, sondern seine Versäumnisse klagen ihn an. Sie klagen ihn des Mangels an Hoffnung an. Denn diese sogenannten Unterlassungssünden gründen allemal in Hoffnungslosigkeit und Kleinglauben. "Nicht so sehr die Sünde stürzt uns ins Unheil als vielmehr die Verzweiflung", sagte Johannes Chrysostomos. Darum zählte das Mittelalter die acedia oder tristitia unter die Sünden wider den heiligen Geist, die zum Tode führen. (S.18)
An anderer Stelle (S.17) wird die Protesthaltung dieser "protestantischen" Theologie deutlich: 

Darum macht der Glaube, wo immer er sich zur Hoffnung entfaltet, nicht ruhig, sondern unruhig, nicht geduldig, sondern ungeduldigt. Er besänftigt nicht das cor inquietum, sondern ist selber dieses cor inquietum im Menschen. Wer auf Christus hofft, kann sich nicht mehr abfinden mit der gegebenen Wirklichkeit, sondern beginnt an ihr zu leiden, ihr zu widersprechen. Frieden mit Gott bedeutet Unfrieden mit der Welt, denn der Stachel der verheißenen Zukunft wühlt unerbittlich im Fleisch jeder unerfüllten Gegenwart... Diese Hoffnung macht die christliche Gemeinde zu einer beständigen Unruhe in menschlichen Gesellschaften, die sich zur "bleibenden Stadt" stabilisieren wollen. Sie macht die Gemeinde zum Quellort immer neuer Impulse für die Verwirklichung von Recht, Freiehit und Humanität hier im Lichte der angesagten Zukunft, die kommen soll. Diese Gemeinde ist verpflichtet zur "Verantwortung der Hoffnung", die in ihr ist  (1.Petr 3,15).
Jetzt die große Frage: Was heißt das für uns heute? Any ideas?

Freitag, 5. Juni 2009

Calvins Doxologie äh Theologie: Das Dreifache Amt Christi


Ich habe es schon immer gedacht. Liest man Johannes Calvins Institutio (mal ganz untheologisch und unkritisch) fühlt man sich in ein Lobpreiskonzert versetzt. Calvin verweist auf Gott in seiner Souveränität, Majestät und Herrlichkeit. 

Dies zeigt sich auch in seiner Lehre vom Dreifachen Amt Christi - Christus als Priester, König und Prophet (Institutio II,15). Es geht ihm darum den "Namen Christi" zu "füllen". Explizit redet er davon, dass jedes dieser Ämter eine "Lobpreisung" sei. 

Ich frage mich mal wieder: WWLS? What would Luther say? Käme ihm Calvins Darstellung zu triumphalistisch vor? Würde er sich daran stoßen, dass das königliche Amt ausführlich dargestellt wird, das priesterliche Amt aber nur kurz?

Mir jedenfalls gefällt die Lehre vom Dreifachen Amt. W.Härle hat mich in einer Prüfung mal auf den korrigierenden Charakter dieser Lehre hingewiesen. Als ich in einer Christologie-Prüfung vorwiegend von Kreuz und Auferstehung sprach, meinte er etwas wie: "Sie beschreiben Christus als König und Priester aber vergessen den Aspekt seiner (prophetischen) Verkündigung".  

Den Text der gesamten Institutio findet ihr hier: www.calvin-institutio.de

Montag, 1. Juni 2009

Was ist Theologie?

"Wir können's ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben." (Die Bibel, Apostelgeschichte, Kapitel 4, Vers 20.)

Theologie ist Rede von Gott. Als solche ist sie immer eine sehr individuelle, persönliche Angelegenheit. Wir sind ja keine Religionswissenschaftler, sondern reden aus einer Binnenperspektive heraus von Gott... 

Wir reden von Gott und kommen aus einem ganz eigenen Hintergrund. Wir mögen uns pietistisch, charismatisch, katholisch, evangelisch, konservativ oder liberal nennen. Dahinter stehen aber doch individuelle Erfahrungen, die uns zu diesen Kategorien verleitet haben. 

Selbst wenn theologische Gedanken noch so wissenschaftlich und objektiv formuliert werden: Hinter den meisten theologischen Diskussionen stehen sich widerstrebende biographische Erfahrungen. Und hinter jedem "Kanon im Kanon" steckt die eigene einzigartige Persönlichkeitsstruktur des "Theologen". Theologie ist darum nie trockene Rede über Gott, sondern eine Rede von der Offenbarung Gottes in unserem Leben. Das macht Theologie zum Glaubenszeugnis und lässt uns zustimmen: "Wir können's ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben."